
Schwachhausen Magazin
Liebe auf den ersten Ton
Intendant Marc Niemann
öffnet uns die Türen zum Sendesaal
und zeigt, warum dieser Ort
so einzigartig ist
Text: Andreas Schack
Foto: Kristin Niemann, Andreas Schack & Sendesaal Bremen
„Sehen Sie diese Federn?“ Marc Niemann deutet nach oben. Zwischen Balken und Kabeln hängen Hunderte Metallfedern, die das Gebäude tragen. „Der ganze Saal hängt in diesem Gerüst. So können keine Schwingungen von außen übertragen werden.“ Und tatsächlich: Wer auf den Dachboden des Sendesaals steigt, sieht sofort, dass dies kein gewöhnliches Haus ist. Hier schwebt ein Raum in einem Raum, gebaut für die Stille und für den perfekten Klang.
Unten im Saal wird alles noch greifbarer. Die Wände sind verkleidet mit Holz, die Bühne ist groß, der Zuschauerraum vergleichsweise klein. „Etwas mehr als eine Sekunde Nachhall – das ist optimal“, erklärt Niemann. „Nicht zu trocken, nicht zu schwammig. Musiker lieben das.“
Ein Haus mit Geschichte
Gebaut wurde der Sendesaal in den 1950er Jahren. Von hier wurden auch die Konzerte des Radio Bremen Orchesters übertragen. „Ja, es gab ein eigenes Orchester!“ Ursprünglich war der Sendesaal weniger Konzertsaal als Produktionsstudio, für Aufnahmen, Übertragungen und Hörspiele. Noch heute zeugen alte Bandmaschinen, analoge Pulte und Kabelstränge von dieser Zeit. „Wir haben hier eine einzigartige Mischung aus High-End-Technik der 90er und modernster Digitaltechnik“, sagt Niemann und schmunzelt: „Manchmal kommen Künstler mit dem MacBook und brauchen nur einen Stecker. Andere schwören auf die alten analogen Schätze.“
Legendär ist der Saal spätestens seit 1973, als Keith Jarrett hier ein Konzert spielte. „Die Aufnahme ging um die Welt“, erzählt Niemann. „Bremen, Lausanne – ein Meilenstein.“ Auch Alfred Brendel, Christian Tetzlaff und Marc-André Hamelin haben hier schon gespielt oder aufgenommen. Rund 80 bis 100 Produktionstage pro Jahr kommen so zusammen, fast ebenso viele Konzerte. „Hier war schon das Who’s who der internationalen Musikszene.“

Marc Niemann übernimmt
Seit Januar 2025 ist Marc Niemann Intendant und Geschäftsführer des Sendesaals. Der 52-Jährige ist in der Musikszene kein Unbekannter. In Hannover geboren, studierte er Klavier und Dirigieren, arbeitete an Theatern in ganz Deutschland und wurde 2014 Generalmusikdirektor in Bremerhaven. Dort baute er neue Formate auf, erweiterte das Publikum, produzierte CDs und gewann überregionale Aufmerksamkeit.
Nach elf Jahren suchte er eine neue Herausforderung. „Der Sendesaal war für mich Liebe auf den ersten Ton“, sagt er. Als Dirigent hat er hier mit seinem Orchester eine CD aufgenommen. „Diese Akustik ist unvergleichlich. Man hört hier Dinge, die man sonst nie hört, gerade die leisen, feinen Nuancen.“
Stille, die berührt
Wer im Saal Platz nimmt, erlebt etwas Besonderes. Kein Rumpeln von Straßenbahnen wie in der Glocke, kein Brummen von außen. „Hier herrscht absolute Stille“, sagt Niemann. „Das macht es für Musiker wie Publikum gleichermaßen einzigartig. Jeder Atemzug, jeder Bogenstrich wird hörbar.“ Diese Nähe prägt auch das Publikum. „Die Leute hier sind sehr kunstsinnig“, erzählt Niemann. „Man spürt sofort, dass sie ganz bei der Musik sind.“
Kleines Team, großer Verein
Hinter dem Sendesaal steht ein Trägerverein mit rund 700 Mitgliedern. Sie sichern die Arbeit, tragen den Betrieb und bekommen dafür die Hälfte des Eintrittspreises erlassen. „Das lohnt sich schon nach wenigen Konzerten“, sagt Niemann. Sein festes Team besteht aus nur vier Personen, ergänzt durch Techniker, Kassenkräfte und freie Mitarbeitende. „Ein kleiner Betrieb, aber ein hochprofessioneller.“ Die Förderung der Stadt beträgt lediglich 50.000 Euro im Jahr. „Das reicht für eine Stelle“, erklärt er nüchtern. Der Rest muss über Produktionen, Konzerte, Förderungen und Mitgliedsbeiträge erwirtschaftet werden.

Neue Formate, neue Ideen
Trotz knapper Mittel möchte Niemann den Saal weiterentwickeln. „Wir bieten hier Champions League“, sagt er. Namen wie Christian Tetzlaff oder Viktoria Mullova stehen für internationale Qualität. Daneben sollen neue Formate entstehen: ein Liedfestival mit Opernsänger Dietrich Henschel, Abende mit Musik und Literatur, Stummfilme mit Livemusik. Und unter dem Titel „HB unplugged“ sollen künftig auch Singer-Songwriter und junge Bands aus Bremen auftreten. „Wir wollen die Szene fördern und gleichzeitig neue Besuchergruppen ansprechen.“
Kulturmanager mit Taktstock
Niemann versteht sich als Musiker und Kulturmanager gleichermaßen. „Ein Dirigent leitet nicht nur Konzerte, er verantwortet auch Finanzen und Personal. Diese Doppelrolle hilft mir hier sehr.“ Und wenn er selbst dirigiert? „Dann freue ich mich, wenn es am Abend still ist.“ Denn auch er braucht manchmal Abstand vom Klang. Zu Hause in Hamburg hört er Jazz und legt gelegentlich noch eine Schallplatte auf. „Ich habe tatsächlich noch einen alten Plattenspieler.“
Der Sendesaal Bremen ist ein Ort, der Musiker wie Publikum gleichermaßen fasziniert. Für Marc Niemann ist er Arbeitsort, Herzensprojekt und Zukunftsaufgabe zugleich. „Hier zu spielen, ist für viele Künstler ein Traum. Und für das Publikum jedes Mal ein Erlebnis.“
www.sendesaal-bremen.de